Kriegserbe in der Seele



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75 Jahre ist es her, dass der zweite Weltkrieg durch die Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 sein Ende fand. Dem Schein nach leben wir in Friedenszeiten, doch viele tragen das emotionale Erbe noch in sich – oft auch ohne es zu wissen. Der Ratgeber “Kriegserbe in der Seele” erklärt wie man dies erkennt und damit umzugehen lernt.

Für viele der Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland sind die Weltkriege mittlerweile nur noch Geschichten aus (Schul-)Büchern und haben nichts mehr mit ihrer aktuellen Lebenswirklichkeit zu tun. Dennoch kennen einige vielleicht bei sich das Phänomen, dass sie Gefühle oder Verhaltensweisen an sich bemerken, die sie sich einfach nicht erklären können, als würden diese irgendwie nicht zu ihnen gehören. Dies haben die Autoren des Buches, beide Psychotherapeuten, auch bei vielen Menschen festgestellt, die sie in ihrer Tätigkeit begleitet haben. Ein Teil dieses Phänomens kann aus selbst erlebten, aber verdrängten Erfahrungen nachvollzogen werden. Manche zeigten aber auch Symptome, die Anzeichen eines Traumas sind, ohne jemals selbst ein traumatisches Erlebnis gehabt zu haben – ihre Eltern oder Großeltern dafür schon. Sie haben in den Kriegs- und Nachkriegsjahren entweder selbst Traumatisches erlebt oder wurden Zeugen traumatischer Szenen. Daran zeigt sich, dass Menschen unter den Folgen von Kriegstraumata leiden können, ohne sie selbst erlebt zu haben.

Wie wird ein Trauma weitergegeben?

Laut der Definition des ICD-10 ist ein Trauma, im psychologischen Sinne, eine besonders schwere seelische Verletzung. Der Auslöser ist eine Situation, die ein Mensch als existentiell bedrohlich erlebt und nicht in der Lage ist die Situation aktiv zu bewältigen. Im Kriegsgeschehen sind das vor allem Hunger, Vertreibung und Gewalt jeglicher Art. Die Zeit nach traumatischen Ereignissen kann das Trauma verfestigen oder heilend wirken. Dies hängt davon ab, ob eine traumatisierte Person mit dem Geschehenen allein gelassen wird oder Halt und Unterstützung erfährt. In der Kriegs- und Nachkriegszeit mussten die Menschen überwiegend alleine mit dem Schrecken fertig werden, wodurch die Traumata ungelöst blieben.

Die Weitergabe solcher Traumata an die nachfolgende Generation geschieht dann vor allem durch Resonanz, das heißt, durch das zwischenmenschliche Spüren emotionaler Qualitäten. Dies geschieht unbewusst und verstärkt sich noch, wenn Menschen versuchen ihre Gefühle zu verbergen. Besonders Kinder spüren den Kummer ihrer Bezugspersonen und entwickeln umso stärkere Antennen dafür, je mehr diese versuchen ihr Leid nicht zu zeigen. Je weniger über das, was emotional „in der Luft liegt“, gesprochen wird, desto eher kommt es dazu, dass sich Gefühle und Verhaltensweisen, die nicht zu einem selbst gehören, übertragen. Dieses unbewusst weitergegebene Leid kann sich auch in körperlichen und psychischen Erkrankungen zeigen.

Was sind die Folgen der Traumaweitergabe?

Das Verständnis der Auswirkungen im eigenen Leben und damit die Akzeptanz für sich ist ein erster Schritt im Umgang mit der Traumaweitergabe. Deshalb beginnen die Autoren damit ≈ zentrale emotionale Auswirkungen des Kriegserbes anhand von Beispielen zu beschreiben und das Irritierende an dem Verhalten der Kriegsgeneration zu erklären.

Über Vieles, vor allem aber über das, was die Menschen innerlich bewegte, wurde kaum gesprochen. Jeder versuchte mit den Kriegserlebnissen für sich selbst zurecht zu kommen. Die ungelösten emotionalen Themen der Kriegstraumatierten zeigen sich in den nachfolgenden Generationen oft als übersteigerte oder diffuse Angst- und Schuldgefühle. In einem gewissen Maß ist vor allem Angst völlig normal, wenn sie denn der Situation angemessen ist. Bei vielen, die den Krieg erlebt haben, wurde aber alltäglichen Situationen, wie zum Beispiel Donnergrollen, unbewusst eine weitere Bedeutung gegeben, nämlich die von Bombendetonationen oder anderen als bedrohlich erlebten Geräuschen.

Durch die ungelebten Gefühle der Kriegsgeneration und ausgelöst durch den Verlust ihrer sicheren Heimat ist in den Nachkriegsgenerationen immer noch eine Verunsicherung der eigenen Identität vorhanden. Wo ist meine Heimat? Wer bin ich als Mensch? Das sind Fragen, die viele nicht für sich beantworten können. Sie haben gelernt sich vor allem über Leistung zu definieren, denn für die Angst, den Schmerz, die Trauer, gab es in den Kriegs- und Nachkriegsjahren keine Zuwendung, sogar massive Abwertung - „Schwäche“ zeigen war verboten, denn es konnte einen im Krieg das Leben kosten. So sitzt auch heute noch vielen der innere Leistungsdruck im Nacken und die eigenen Gefühle werden unter Kontrolle gehalten, obwohl dies nicht mehr zum Überleben nötig ist – im Gegenteil schaden diese Verhaltensweisen den Menschen oft mehr als dass sie ihnen nutzen.

Der eigene Umgang mit dem Kriegserbe

Das Wissen um die Hintergründe hilft das eigene Verhalten und das traumatisierter Angehöriger zu verstehen. Die emotionalen Verletzungen, die durch die Unfähigkeit der Kriegsgeneration in lebendigen Beziehungen zu leben verursacht wurden, bleiben. Die Autoren halten es für wichtig, sich anderen mit diesen Verletzungen zu zeigen. Denn der Kampf gegen die eigenen inneren Wunden kostet viel Kraft und ist ein schwerer Weg, der allerdings durchaus zu bewältigen sein kann. Ganz wichtig ist zu betonen, dass Verstehen nicht automatisch Verzeihen bedeutet. Es ist völlig legitim und auch nicht unbedingt notwendig zu verzeihen, um den eigenen inneren Frieden mit den Traumafolgen zu machen.

Der Weg zur eigenen Aussöhnung mit dem Kriegserbe ist für jede/n ein ganz individueller. Die Autoren geben hier viele Anregungen, Übungen und Beispiele für die Auseinandersetzung mit sich und der eigenen Familiengeschichte. Der wesentliche Punkt dabei ist die durch die Traumaweitergabe „geerbten“ Themen von der eigenen Persönlichkeit zu unterscheiden und einen bewussten Umgang mit dem „Erbe“ zu finden. Auch wenn es zunächst vielleicht Überwindung kostet, ist es ratsam sich Hilfe und Unterstützung in seinem Umfeld und/oder auf therapeutischer Basis zu suchen. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen emotionalen Erbe hilft sowohl einem selbst als auch den nachfolgenden Generationen, den Kindern und Enkelkindern, und ist so eine bedeutsame Investition in die Zukunft.







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