Das Tagebuch - Definition, Geschichte, Entwicklung
Was ist eigentlich ein Tagebuch?
Der Duden sagt: Buch, Heft für tägliche Eintragungen persönlicher Erlebnisse und Gedanken.
Aber so unpersönlich, wie diese Definition klingt, ist kein Tagebuch. Für jedes einzelne „Tagebuch findet man viele Bezeichnungen, die aussagen, was es dem Einzelnen ist und dem Lesenden sein kann: ein Zeitbuch, ein Lebensbuch, ein Geheimnisträger, ein Abfalleimer für den Seelenmüll, ein Seelenputzer, eine Redekur, eine Selbsttherapie, ein Vergangenheitsbewahrer, eine Erinnerungshilfe, eine Brücke zwischen Innen- und Außenwelt“ (TEA Tagebuch- und Erinnerungsarchiv Berlin e.V.)
Jedes Tagebuch ist dabei einzigartig, privat und individuell und damit genau so wie das Leben der Person, die es schreibt. Es ist ein Teil dieses speziellen Lebens, gewandelt in Worte. Etwas ganz besonderes sind solche Tagebücher, die über einen langen Zeitraum hinweg geschrieben wurden. Leider ist gerade das oft ein Problem, denn nicht der Beginn des Schreibens macht Probleme, sondern das konsequente Fortführen. Aber gerade an solch kontinuierlich geschriebenen Tagebüchern kann man die Entwicklung und eventuell das ganze Leben eines Menschen gut ablesen und macht sie deshalb besonders spannend. Es offenbart die Einstellungen des Schreibers, seine Gefühle, beschreibt in welchem Kinofilm dieser Mensch war und wie er ihm gefallen hat, wer ihm Gutes und wer ihm Böses getan hat, wo er im Urlaub war, wen er geliebt hat, welche Gedanken er sich über die Welt und sich selber gemacht hat, was ihm Angst bereitet und worüber er sich am meisten gefreut hat. Vielleicht klebt auch noch ebendiese Kinokarte darin, eine Locke von der ersten Liebe, das Foto eines lieben Menschen, der leider nur kurz Teil dieses Lebens war, ein Zeitungsartikel über ein bedeutsames Ereignis, das Foto vom ersten Auto. Ein Tagebuch kann sehr bunt sein.
In der heutigen Zeit gibt es mehr als die „Papiervariante“ eines Tagebuchs. Moderne Medien, Computer bzw. das Internet eröffnen etliche Möglichkeiten. Vielleicht ist es dann ein Video-Tagebuch oder der Blog, der öffentlich lesbar ist. Je nach Person und Bedürfnissen, kann sich jeder das Mittel aussuchen, das am besten zu ihm passt.
Wie sind Tagebücher entstanden?
Die ersten Tagebücher waren assyrische Tontafelkalender. Dort fanden sich Notizen über das Wetter, die Marktpreise, den Alltag usw. Es wurden auch die Götter erwähnt, die gerade angebetet wurden. Die Tatenberichte babylonischer Herrscher oder römischer Kaiser sowie Aufzeichnungen von Träumen und deren Deutung sind ebenfalls erste Versuche, Ereignisse festzuhalten. Im Mittelalter waren Logbücher, Chroniken und Aufzeichnungen von Mystikerinnen die Vorreiter des Tagebuches. Allerdings sind all diese Textformen noch keine Aufzeichnungen von Einzelpersonen über persönliche Erlebnisse, Gedanken oder Banalitäten.
Das Tagebuch im heutigen Sinne setzt im Europa mit der Renaissance ein. Der Mensch wird Zeuge vieler neuer Erfahrungen und Entwicklungen, die in der Zeit zwischen Mittelalter und Neuzeit auftreten. Die Entwicklung der Technik, die zunehmende Verbreitung von Papier beschleunigt die Sache. Bloßes Registrieren des alltäglichen Geschehens reicht nicht mehr aus. Der Mensch will die neuen Eindrücke verarbeiten und tut dies in Beobachtungs- und Reisejournalen oder Memorialbüchern. Vorwiegend sind die Tagebücher dieser Zeit aber noch Chronik-Tagebücher, in denen die Beobachtung den Vorrang vor der Reflexion hat. In Deutschland gilt das noch bis ins 17. Jahrhundert hinein. Ab dem 18. Jahrhundert zieht sich der Bürger ins Private zurück und das Tagebuch wird unter anderem Mittel zur Seelenforschung und Beichte. Das Tagebuchschreiben wird dann besonders im 20. Jahrhundert immer populärer. Ausnahmesituationen (wie z. B. die beiden Weltkriege) veranlassen die Menschen zunehmend ihre Erlebnisse niederzuschreiben. Das wohl berühmteste Beispiel ist das Tagebuch der Anne Frank.
Welche Funktion haben Tagebücher?
Warum machen sich so viele Menschen die Mühe, Tagebuch zu schreiben? Ein Nutzen muss dabei herauskommen, wenn so viele Menschen so viel Zeit darin investieren. Ist es der Wunsch, das Leben irgendwie festzuhalten? Erinnerungen möglichst unverfälscht aufzuschreiben und als Gedächtnisstütze zu bewahren? Sind sie ein Abbild der inneren Kämpfe/Auseinandersetzungen, die man mit sich selber geführt hat um die Person zu werden, die man im Jetzt ist? Glauben die Menschen, Antworten darin zu finden, wenn sie die Tagebücher irgendwann einmal wieder lesen? Sind sie ein Ersatz, um Gefühle loszuwerden, weil gerade keine passende Person dafür vorhanden ist? Der Vorteil an einem Tagebuch ist, dass man keine Angst vor Verurteilung/Anklage haben muss und sich für nichts zu rechtfertigen braucht.
Tagebücher können eine gute Methode der Entspannung sein. Wenn man am Abend alle Erlebnisse und auch Sorgen dort abladen kann, dann sorgt so ein Tagebuch dafür, dass wir unbelastet in den Schlaf entgleiten können, denn nichts geht mehr im Kopf um. Das Tagebuch saugt dabei die Wut förmlich auf, Ärger, Rachegefühle, Eifersucht, die gesamte Bandbreite der Emotionen und verurteilt nicht, schreit nicht und gibt keine ungefragten Ratschläge. Es steht völlig frei zu fluchen und Luft zu machen. Es ist mit der beste Platz um Frust, Ärger, Stress und Aggression abzulassen und dich somit selber von diesen Gefühlen zu befreien, ist also hervorragend zur „Psychohygiene“.
Studien haben gezeigt, dass das Schreiben von Tagebüchern einen heilenden Effekt haben kann, besonders bei der Verarbeitung negativer Erfahrungen. Es „kann die Aktivität des Immunsystems fördern, wohltuend wirken und depressive Symptome lindern“ (DIE ZEIT Nr. 14/2016 v. 23.03,2016).
Der Psychologe James Pennebaker (University of Texas) begründete in den 80er Jahren eine neue Form der Therapie, die heute weit verbreitet ist: Das expressive Schreiben. Den Studenten, die sich in einem anfänglichen Versuch ihre schmerzhaften Erlebnisse von der Seele geschrieben hatten, schien es danach deutlich besser zu gehen, sie gingen in den folgenden sechs Monaten weniger wegen Grippe oder Erkältung zum Arzt als die Studenten aus der Kontrollgruppe, die zwar auch geschrieben hatten, jedoch nur über belanglose Dinge. Dieses Phänomen, dass das expressive Schreiben widerstandsfähiger macht, wurde auch in zahlreichen weiteren Studien, auch von anderen Wissenschaftlern mit größeren Versuchsgruppen, bestätigt.
Und auch das soziale Miteinander scheint aufzublühen. Die eigenen Gefühle ausdrücken zu können öffnet Menschen für andere. Viele, die etwas Schreckliches erlebt haben, verschließen sich und ziehen sich zurück. Wer für sich selbst einen Weg gefunden hat, das Unsagbare doch sagen zu können, der kann auch seinen Mitmenschen davon erzählen. Er kann aus der Einsamkeit ausbrechen und seine Erfahrungen teilen, was sogar wissenschaftlich messbar ist.
Welche historische Bedeutung haben Tagebücher?
Auch, wenn die Tagebücher meist von ganz normalem Menschen wie Du und ich geschrieben werden, so können sie doch für Wissenschaftler interessant sein, denn sie halten eventuell auch das Zeitgeschehen, das Lebensgefühl der jeweiligen Zeit/Epoche fest. Diese Informationen können für die Erforschung unserer Geschichte sehr interessant sein. Dafür müssen die Tagebücher aber auch in die richtigen Hände geraten. In der Stadt Emmendingen gibt es z. B. das Deutsche Tagebucharchiv e.V., dort kann man jedes Tagebuch einschicken, wo es untersucht (also gelesen) und archiviert wird. Nach Themen geordnet werden dann z.B. Broschüren herausgegeben, die man käuflich erwerben kann und so wird das Wissen und Denken einzelner Privatpersonen zu Allgemeingut, das eingesehen und weitergegeben werden kann. (www.tagebucharchiv.de)
So haben also ganz viele Menschen die Möglichkeit – egal ob Wissenschaftler oder Privatpersonen – aus den Erfahrungen von einzelnen Menschen zu lernen.
In Oelde (NRW) findet regelmäßig ein kleines Festival statt, die Tagebuchtage, bei denen sich deutsche Bands berühmte Tagebücher vornehmen und sie vertonen. Die Gedanken und Worte einzelner Personen beeinflussen unser aller Leben und unsere Kultur, setzen sich fort und beeinflussen wieder andere Menschen.
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